Gelöste Stimmung beim Café Redenszeit der Bahnhofsmission Ingolstadt, das an jedem ersten und dritten Donnerstag im Monat stattfindet. Foto: Caritas/Peter Esser
"Wir brauchen noch Servietten", ruft Heike Bergmann Kurt Göttling zu. Dann ist alles vorbereitet, und die beiden hauptamtlichen Mitarbeitenden der von der Caritas und Diakonie getragenen Bahnhofsmission Ingolstadt übergeben die Regie an die beiden Ehrenamtlichen Michael Gorosics und Stefan Schuster. Diese bereiten sogleich den Tisch vor und setzen den Kaffee auf. Heute findet im Geschäftsgebäude des Parkhauses am Bahnhof wieder das "Café Redenszeit" der Bahnhofsmission statt. Die Deutsche Bahn stellt der ökumenischen Einrichtung dort einen eigenen Raum mietfrei zur Verfügung. Seit Februar dieses Jahres kommen in diesem an jedem ersten und dritten Donnerstagnachmittag von 14 bis 16 Uhr immer wieder Menschen zusammen, um sich zwanglos miteinander über Gott und die Welt zu unterhalten.
"Vom Alltag Luft verschaffen"
Der erste Gast ist an diesem Tag der 82-jährige Rentner Ortwin Laveuve aus Manching, der früher Ingenieur bei IBM war. Er hat Plätzchen mitgebracht. "Man kann hier einfach mal ratschen, und es gibt guten Kaffee", begründet er, warum er seit dem dritten Treffen ständig dabei ist. Von dem Angebot hatte er aus der Zeitung erfahren. Nach ihm betritt die 48-jährige Monika Wirth den Raum. Sie war schon öfters bei der Bahnhofsmission, und kommt nun ebenfalls zur "Redenszeit", "um zu quatschen". Heike Bergmann, Kurt Göttling und die derzeit 16 Ehrenamtlichen der Bahnhofsmission hatten zuletzt festgestellt, "dass Hilfesuchende nicht nur zu uns kommen, um uns wegen einer akuten Not um Rat zu fragen, sondern dass viele auch einen erhöhten Redebedarf haben: nicht nur mit uns, sondern auch mit anderen", so Heike Bergmann. So entstand die Idee für das "Café Redenszeit". "Es hat sich zu einer sehr geselligen Runde entwickelt, in der sich die Beteiligten, die teilweise von irgendwelchen Hürden im Leben geprägt sind, vom Alltag Luft verschaffen", erzählt der Ehrenamtliche Stefan Schuster, und sein Kollege Michael Gurosics ergänzt: "Das hier ist einfach ein Wohlfühlort."
Anfangs kamen laut den Organisatoren nur drei bis vier Café-Gäste, inzwischen sind es aber oft rund zehn. "Es sind Leute, die meistens keinen Kontakt zu traditionellen Anlaufstellen wie Pfarreien finden, zumal es im Süden Ingolstadts ohnehin nur wenige soziale Angebote gibt", so die hauptamtliche Leiterin. Manche haben oder hatten ihr Päckchen zu tragen, etwa die 64-jährige US-Amerikanerin Erika Rogge, die ursprünglich aus Honduras stammt. Ihr half Heike Bergmann wegen Problemen mit ihrer Wohnung in Ingolstadt und informierte sie auch über das "Café Redenszeit". "Hier erfahre ich in einer angenehmen Atmosphäre Gemeinschaft mit anderen und Brüderlichkeit", freut sich Erika Rogge, jedes Mal zu dem Begegnungscafé zu kommen.
Die Themen bei den Treffen sind so vielfältig wie die Leute selbst. Monika Wirth erzählt heute wieder einmal vom monatlichen Peter Maffay-Treffen in München, zu dem sie immer wieder fährt. Sie war auch schon bei zahlreichen Konzerten und Events mit dem Sänger. "Ich habe auch schon viele Autogramme von ihm", erwähnt Monika Wirth nicht ohne Stolz. "Die Liebe bleibt" ist ihr Lieblingssong von Peter Maffay. Elke Bügel, die seit 14 Jahren freiwillig bei der Bahnhofsmission engagiert ist, hat mehrere selbstgehäkelte Wollmäuse mitgebracht. "Vor drei Jahren schenkte ich viele von diesen den am Bahnhof ankommenden Flüchtlingskindern aus der Ukraine", erinnert sie an ein einzigartiges Engagement der Bahnhofsmission seinerzeit. Heute überreicht sie einige Wollmäuse den Beteiligten am Café Redenszeit zu deren Freude. Bei diesem kommen auch ernste Themen zur Sprache. Zwei Frauen unterhalten sich über ihre Krebserkrankungen. An anderen Tagen informieren Beteiligte, was sie bei einer Reha erlebt haben. Doch es wird auch viel gelacht, und es werden Tipps gegeben. Einer Frau, die sich ehrenamtlich engagieren möchte, aber noch nicht weiß in welcher Weise, empfiehlt Heike Bergmann, sich ans Freiwilligenzentrum im Ingolstädter Bürgerhaus zu wenden.
"Caritas öffnet Türen"
Bisher hat das Begegnungscafé an jedem vorgesehenen Tag stattgefunden. Als das Gebäude am Bahnhof an Fronleichnam geschlossen war, entschieden die Ehrenamtlichen spontan, es in einem nahegelegenen Park durchzuführen. Kaffee und andere erforderliche Dinge bei den Treffen werden laut Heike Bergmann aus Spendengeldern für die Bahnhofsmission finanziert. Kuchen und Plätzchen bringen engagierte Ehrenamtliche oder Gäste oft auch selbst mit. "Um das Projekt ins Laufen zu bringen, hatten wir am Anfang einen Zuschuss von der Stiftung Obdachlosenhilfe erhalten", informiert Kurt Göttling. "Unser Begegnungscafé ist offen für jeden und jede", betont Heike Bergmann. Sie sieht die "Redenszeit" so auch als ein wegweisendes Projekt im Rahmen der diesjährigen bundesweiten Caritas-Kampagne "Da kann ja jeder kommen. Caritas öffnet Türen."