Vinzenz von Paul
Die Karrierepläne
Was soll aus dem Bauernbub schon werden? Die Familie ist kinderreich, die Gegend karg, die Verhältnisse einfach. Da macht man keine großen Sprünge. Der kleine Vinzenz, 1581 geboren, hatte einen hellen Kopf und eine strebsame Natur. Pfarrer sollte er werden und es auf eine gute Stelle schaffen, um von den Einkünften auch seiner Familie etwas abtreten zu können. Das war der Plan. Und: Als Geistlicher konnte man Karriere machen. Genau das wollte der Junge - nach oben. Der Vater verkaufte zwei Ochsen, um ihm die Ausbildung zu finanzieren. Schon mit 19 Jahren war Vinzenz Priester.
Die Krise
Doch es lief anders. Vinzenz fand die ihm passende Anstellung nicht, litt an Geldmangel, machte Schulden. Irgendwie schlug er sich durch. Er wurde von Seeräubern gefangen und als Sklave nach Tunis verkauft. 1608 kam er über Rom nach Paris. Hier war er Pfarrer und Hausgeistlicher bei der reichen Adelsfamilie de Gondi. Als geistlicher Berater der Ex-Königin Margarete von Valois lernte er Luxus und Pracht kennen, als ihr Almosenverwalter begegnete der junge Geistliche in den Spitälern der geballten Armut. Der karrieresüchtige junge Mann begann, sich zu hinterfragen und suchte geistliche Begleitung. Er veränderte sich stark. Im Lauf der Jahre wurde aus ihm ein Mann von innerer Tiefe und hoher Selbstlosigkeit.
Ein genialer Gedanke
1617 hatte Vinzenz - inzwischen Pfarrer in Châtillon-les-Dombes in der Nähe von Lyon - ein Schlüsselerlebnis:
"Eines Sonntags kam jemand zu mir und meldete, in einem abseits gelegenen Haus, etwa eine viertel Stunde von hier, herrsche große Not. Alle darin seien krank, keiner könne dem anderen helfen. Ich kam auch gleich bei der Predigt darauf zu sprechen und empfahl die notleidenden Leute liebevoll der Gemeinde. Nach der Vesper am Nachmittag machte ich mich selbst auf den Weg dahin. Da sah ich Frauen mit Lebensmitteln hingehen, andere kamen von dort zurück, kurz, es waren so viele unterwegs, dass man von einer Prozession sprechen konnte. Ich musste mir sagen: Welch große Nächstenliebe! Aber sie ist ungeordnet. Haben doch die Armen jetzt zu viel Vorrat auf einmal. Ein Teil davon wird verderben, und bald sind sie wieder der alten Not ausgeliefert. Da brachte mich Gott auf den Gedanken, diese Frauen könnten sich zusammentun, um aus Liebe zu Gott den armen Kranken zu dienen. So schlug ich in einer Versammlung den Frauen vor, jede möge ihren Beitrag leisten und sich einen Tag zur Verfügung stellen, um das Essen zu bereiten, und zwar nicht allein für diesen einen Fall, sondern für alle, die später Hilfe nötig haben würden."
Er entdeckte, dass Helfen auch dauerhaft sein muss. Dass die spontanen guten Taten nicht reichen. Dass die Nächstenliebe organisierbar ist. Dass sie Strukturen braucht und systematisch zu erfolgen hat.
Innerlich klar und entschlossen verschrieb er sich in der Lebensmitte einer neuen Lebensaufgabe: Er wollte für die Bedürftigen da sein und Organisationen schaffen, um deren Not zu lindern. "Lieben wir Gott - aber auf Kosten unserer Arme und im Schweiße unseres Angesichts" war fortan sein Lebensmotto.
Leidenschaftliches Engagement
Von nun an ging es Schlag auf Schlag. Vinzenz gewann Helferinnen und schloss sie in Caritasvereinen zusammen. Das war etwas ganz Neues: eine organisierte Sorge um Kranke und Arme vor Ort. Als oberster Seelsorger für Galeerensträflinge setzte er sich für Hafterleichterungen und einen menschlicheren Umgang mit den Sträflingen ein. Er sorgte für Obdachlose und Bettler. Mädchen vom Land quartierte er in Pariser Mietswohnungen ein und schickte sie als "Töchter der Caritas" in Spitäler und Armenquartiere. Daneben betreute Vinzenz Häuser für Findelkinder, leitete die Flüchtlingsfürsorge, organisierte Suppenküchen, gründete Anstalten für Geisteskranke, Pilgerhäuser und in Marseille ein Spital für Strafgefangene. Das Geld dafür bettelte der rastlose und leidenschaftliche Priester zusammen. Gottes- und Nächstenliebe waren für ihn nicht zu trennen.
Zentral: Die Gemeinschaft
Die helfende Gemeinschaft war für Vinzenz der Schlüssel zur Bewältigung sozialer Not. Zahlreiche Vereinigungen und Bruderschaften gehen direkt auf ihn zurück, etwa der Volksmissionsorden der "Lazaristen" oder die gemeinsam mit Louise de Marillac gegründeten "Barmherzigen Schwestern", auch "Vinzentinerinnen" genannt. Ihre Ausrichtung beschrieb Vinzenz so: "Ihr habt als Kloster die Häuser der Kranken, als Zelle eine Mietkammer, als Kapelle die Pfarrkirche, als Kreuzgang die Straßen der Stadt, als Klausur den Gehorsam, als Gitter die Gottesfurcht und als Schleier die heilige Bescheidenheit." Diese Ausrichtung diente Mutter Teresa als Vorbild für ihren eigenen Orden.
Der Friede
Der "Großstratege kirchlichen Bruderdienstes" und "Pionier der Moderne", wie er später genannt wurde, starb am 27. September 1660 im Alter von 79 Jahren. Auf dem Sterbebett segnete Vinzenz zum letzten Mal die Bedürftigen und alle, die mit ihm im Dienste der Armen standen. Er starb in Frieden und gemäß seinem Ausspruch: "Wer im Leben die Armen geliebt hat, wird im Augenblick des Todes ohne Furcht sein."
Papst Leo XIII. erhob ihn im Jahr 1855 zum Patron der Nächstenliebe und Schutzpatron aller caritativen Vereine.