Der Jugendfürsorgeverein
Der Katholische Jugendfürsorgeverein Eichstätt e.V. wurde im Jahr 1911 gegründet und 1918 mit einer Satzung ins Vereinsregister am Amtsgericht Eichstätt eingetragen. Bis Ende der 1930er Jahre hatte er mit seinen insgesamt 67 Zweigstellen in verschiedenen Orten der Diözese eine wichtige Bedeutung beim Kinder- und Jugendschutz sowie bei der Übernahme gesetzlicher Vormundschaften.
Gründungswellen
Die meisten der insgesamt 67 Vereine im Bistum Eichstätt wurden in drei Wellen in den Jahren 1911 (15 neue Ortsverbände), 1916 (20 neue Ortsverbände) und 1917 (23 neue Ortsverbände) gegründet. Nur neun Ortsverbände entstanden in den 1920er Jahren, darunter der Ortsverband Ingolstadt (1921) und Eichstätt (1924). Der letzte Verein, der vor der entscheidenden Satzungsänderung vom 5. Oktober 1931 gegründet wurde, war Weißenburg im Jahr 1930.
Die ersten Gründungen geschahen vor allem unter dem Eindruck des sozialen Wandels vor und während Ersten Weltkriegs. Dieser hatte katastrophale Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes und die Familienstrukturen. Die Anzahl der Waisen erhöhte sich und es zeigte sich eine steigende Verwahrlosung und Entwurzelung vieler Kinder und Jugendlicher. Gleichzeitig konnten die staatlichen Sozialsysteme des Deutschen Kaiserreichs diese Not nur unzureichend auffangen. Deshalb sahen sich viele katholische Pfarrer in der Pflicht, sich aus christlicher Nächstenliebe dieser jungen Menschen anzunehmen. Sie gründeten Jugendfürsorgevereine, durch die Pflegschaften bzw. Plätze in Pflegefamilien organisiert werden konnten. Die Diözese unterstützte dieses Engagement.
Aus dem verderblichen Einfluss entreißen
"Diese Art von Fürsorge ist vielleicht eine der schönsten Blüten der Charitas", heißt es in einem Schreiben von Generalvikar Dr. Triller vom Januar 1914. Es handele sich nämlich "nicht um gefährliche und verdorbene Jugendliche, sondern um Kinder, an welchen zunächst böse Menschen und traurige Verhältnisse gesündigt haben und welche sich sofort gut entwickeln, wenn sie aus dem verderblichen Einfluß entrissen, in geordnete Verhältnisse, möglichst entfernt von Eltern usw. kommen."
Bedeutende Arbeit
Gerade in den Anfangsjahrzehnten bis in die 1930er Jahre leisteten der katholische Fürsorgeverein und seine Zweigvereine in der Diözese fundamentale Arbeit in den Gemeinden. Sie vermittelten und übernahmen Pflegschaften für minderjährige Kinder und Jugendliche. Auch nach der Einführung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes 1926, das neben dem amtlichen Personal auch die notwendigen Mittel zur Verfügung stellte, behielt die Arbeit der Vereine gerade in der katholischen Öffentlichkeit einen hohen Stellenwert: "Seine Aufgabe ist, die leiblich und seelisch gefährdete Jugend zu betreuen und vor allem diese eminent wichtige Aufgabe nicht allein den Ämtern zu überlassen", heißt es im Pastoralblatt vom 11. November 1927.
Enge Verquickung mit Diözesan-Caritasverband
In der Diözese Eichstätt entstand von Anfang an eine enge Verquickung zwischen der Arbeit des Jugendfürsorgevereins und dem Diözesan-Caritasverband. Im Ringen um effektive Hilfeleistungen bei den Pflegschaften suchten die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendfürsorgevereins nach festeren Strukturen und Netzwerken. Deshalb war der Eichstätter Jugendfürsorgeverein maßgeblich an der Organisation des ersten Caritastages beteiligt, der am 3. September 1918 zur Gründung des Caritasverbandes für die Diözese Eichstätt führte. Der Jugendfürsorgeverein streckte die Kosten der Tagung aus der Kasse des Vereins vor. Weil die erste hauptamtliche Leiterin des Caritasbüros, Anna Luise Häcker (*1864, +1928), bereits seit 1916 im Vorstand des Jugendfürsorgevereins tätig war, blieb vermutlich auch in den Folgejahren die enge, personelle Verquickung zwischen dem Caritasverband und dem Jugendfürsorgeverein bestehen. Als sie am 5. November 1928 nach kurzer, schwerer Krankheit verstarb, fiel ihr Aufgabenfeld der Vormundschafts- und Jugendfürsorgearbeit vollständig dem Diözesan-Caritasverband zu. Mit der Satzungsänderung vom 5. Oktober 1931 wurden die Aufgabenbereiche des Katholischen Jugendfürsorgevereins Eichstätt mit denen des Diözesan-Caritasverbandes verschmolzen. Damit waren alle 126 Pfarrcaritasausschüsse in der Diözese zugleich Ortsgruppen bzw. Ausschüsse des Diözesan-Jugendfürsorgevereins.
Erschwerte Arbeitsbedingungen
Ab 1933 erschwerten die Nationalsozialisten die Arbeit der Wohlfahrtsverbände erheblich. Ab 1937 durften keine Geistlichen mehr in den Jugendämtern oder Wohlfahrtsausschüssen der Gemeinden oder Bezirke vertreten sein. Außerdem waren effektive Hilfeleistungen nur noch Mitgliedern gestattet. Auch Spendensammlungen wurden den Wohlfahrtsverbänden und gemeinnützigen Vereinen untersagt, sodass die notwendigen Mittel nur über die Mitgliederbeträge aufgebracht werden konnten. Deshalb entschieden die Mitglieder des Caritasverbandes in ihrer Versammlung vom 23. November 1937, dass "die Mitglieder des DCV[Diözesan-Caritasverband]; sowohl die direkten als auch die indirekten (Pfarrausschußmitglieder), zugleich auch ohne weiteres Mitglieder des DJV [Diözesan-Jugendfürsorgeverein] sind und zwar ohne Erhöhung des Beitrages." Die eingenommenen Mitgliedsbeiträge wurden paritätisch auf die beiden Verbände verteilt. Als die Repressalien zunahmen, gab der Diözesanjugendfürsorgeverein 1940 "die Vormundschaften auf Druck des Regimes freiwillig" ab.
Geschäftsstelle in Ingolstadt
Nach 1945 war es dem Diözesan-Caritasverband "arbeitsmäßig und räumlich unmöglich, die frühere Tätigkeit im Vormundschaftswesen wieder aufzunehmen", heißt es im Protokoll der Mitgliederversammlung vom 29.12.1954. Dafür hätten in Eichstätt ein bis zwei Hauptamtliche eingestellt werden müssen. Eine Festanstellung geschah lediglich in Ingolstadt, wo auch nach 1940 das Engagement in der Jugendfürsorge weitergegangen war. Dort entstand ab 1947 ein neuer Zweigverein, der den Namen "Diözesanjugendfürsorgeverein Eichstätt e.V. in Ingolstadt / Donau" trug. Dieser beschäftigte in den 1950er Jahren zwei Hauptamtliche und eine ehrenamtliche Helferin. Caritassekretär in Ingolstadt war Josef Winkler, Maria Gitter betreute die Fürsorgestelle für Mädchen, Frauen und Kinder und ab Juni 1953 verstärkte Dr. L. Ratendorfer als neue Fürsorgerin gegen Suchtgefahren das Team, wofür die zuständige Landesstelle einen jährlichen Zuschuss von 5.000 DM gab.
Die Bilanz zum Jahresende 1954 zeigte, dass sich das Ingolstädter Büro seit 1948 um 368 Vormundschaften, 12 Unterhaltspflegschaften und 4 Pflegschaften zur Vertretung im Prozess wegen Anfechtung der Ehelichkeit gekümmert hatte. 10 Jahre später, im Januar 1965, waren es bereits 1.100 Vormundschaftsfälle. Auch die 1957 gegründete Erziehungsberatungsstelle Ingolstadt hatte mit einem Klientenstamm von 32 Jungen und 28 Mädchen bzw.150 Einzeltherapie-Stunden und 215 Gruppentherapie-Stunden im Jahr 1964 eine erhebliche Auslastung. "Ein weiterer personeller Ausbau dieser Stelle erscheint unerläßlich", lautet das Votum der damaligen Diplom-Psychologin Dr. Beate Liller.
Stillstand ab 1972
Nach wegweisenden Gesetzesänderungen im Nichtehelichen-Recht im Jahr 1970 konnte der Verein seine Aufgaben nicht mehr satzungsgemäß wahrnehmen. In einem Schreiben vom 29. Juni 1972 an das Amtsgericht Ingolstadt heißt es, dass der Verband nicht mehr in der Lage sei, die Vormundschaftstelle in Ingolstadt mit einer Fachkraft zu besetzen. Dazu erläutert der damalige Vorsitzende Jakob Weidendorfer, dass sich der Verband seit einem Jahr erfolglos bemühe, die Stelle neu zu besetzen.
Satzungsgemäße Aufgaben verloren
"Durch das Nichtehelichenrecht ist eine Einwirkung in erzieherischer Hinsicht auf unsere Mündel weggefallen. Die vorwiegend verwaltungsmäßige Arbeit entspricht nicht mehr der satzungsgemäßen Aufgabe des Diözesanjungendfürsorgevereins." Deshalb stellte der Verein zum Ablauf des Jahres 1972 die Ingolstädter Vormundschaftsstelle offiziell ein. Das Konto, für das der ehemalige Geschäftsführer Josef Winkler, der sich bereits im Ruhestand befand, als einziger noch Zeichnungsberechtigung besaß, wurde 1973 aufgelöst und der Restbetrag von rund 4.000 DM auf das Konto des Diözesan-Caritasverbandes überwiesen. Damit endete die aktive Tätigkeit des Vereins. Am 14. Dezember 2015 beantragte das letzte verbliebene Mitglied des Vereins, der Vereinsvorsitzende und ehemalige Caritasdirektor Johannes Schmidt, im Alter von knapp 85 Jahren die Löschung aus dem Vereinsregister. Diese erfolgte am 4. Februar 2016.