Schön - zackig - erfolgreich
Zu einer der innovativsten Fundraising-Maßnahmen der Wohlfahrtspflege zählen wohl die "Wohlfahrtsbriefmarken". Wer sie erfunden hat, ist unbekannt. Erstmals gab 1897 das Königreich Großbritannien anlässlich des 60-jährigen Regierungsjubiläums von Königin Victoria "Wohlfahrtsmarken" heraus. Der Reinerlös dieser einmaligen Aktion sollte zum Bau eines Krankenhauses und eines Heimes für "Schwindsüchtige" dienen. 1912 griffen die Schweizer diese Idee auf und schufen die sogenannten "Pro-Juventute-Marken", die dort einen großen Absatzmarkt fanden.
Erstmals in Deutschland
Die ersten Wohlfahrtsmarken in Deutschland kamen nach dem Ersten Weltkrieg auf den Markt. Sie wurden am 1. Mai 1919 herausgegeben und besaßen den Aufdruck "5 Pf. für Kriegsbeschädigte". 1922 und 1923 folgten anlassbezogen zwei weitere Wohlfahrtsmarken. Bei der ersten Serie handelte es sich um Marken für die "Alters- und Kinderhilfe", 1923 für die Rhein-Ruhr-Hilfe.
Deutsche Nothilfe
Nachhaltigkeit erlangte die Idee der Wohlfahrtsmarken in Deutschland wohl durch den ehemaligen Generalsekretär des Deutschen Caritasverbands, Kuno Joerger. Der Theologe und Volkswirt Kuno Joerger (1893-1956), war seit 1916 Direktor und ab 1921 Generalsekretär des Deutschen Caritasverbands in Freiburg. Er war selbst begeisterter Briefmarkensammler und ließ sich von der Idee der "deutschen Wohltätigkeitsmarken" inspirieren. Deshalb unterstützte er über die Organisationsstruktur des Deutschen Caritasverbands die Verbreitung der "Deutsche Nothilfemarken", die in den Jahren 1924 bis 1935 aufgelegt wurden. Somit waren sie nicht nur bei der Post, sondern auch bei den Wohlfahrtsverbänden erhältlich, die die Wohlfahrtsmarken stark bewarben.
Am 15. Dezember 1924 erschien ein Aufruf im Eichstätter Pastoralblatt, der die Vorteile dieser neuen Fundraising-Maßnahme herausstellte. "Um neue Mittel für die öffentliche und private Wohlfahrtspflege zu gewinnen", heißt es in dem Artikel, veranstalte die Deutsche Nothilfe eine Sammelaktion durch Verkauf von "Wohlfahrtsbriefmarken". Die Marken sollten mit unterschiedlichen Nennwerten (5, 10, 20 oder 50 Pfennige) zum vierfachen Preis verkauft werden. Damit spiele jede verkaufte Marke einen Gewinn von 75 Prozent für die Wohlfahrtseinrichtungen ein. Diesen Erlös sollten sich die Deutsche Nothilfe und die jeweilige Organisation, die den Vertrieb übernommen hatte, jeweils zu 50 Prozent teilen.
Mit Eifer an den Vertrieb
Der Diözesancaritasverband Eichstätt unterstützte im Pastoralblatt diese Aktion mit großem Nachdruck: "Jeder Caritasausschuss, jedes Pfarramt, jeder Verein, der sozialer und caritativer Arbeit dient, sollte im Interesse der notleidenden Mitmenschen sich mit Eifer an dem Vertrieb der Marken beteiligen, damit Mittel gewonnen werden, um weiterzuhelfen", heißt es in dem Aufruf des Pastoralblatts (15.12.1924). Die Pfarrämter und Caritasausschüsse sollten versuchen, Geschäftsinhaber, Vereinsvorstände und Einzelpersonen dafür zu gewinnen, ihre Post im Aktionszeitraum mit Wohlfahrtmarken zu frankieren. Dabei sei von großem Vorteil, dass der Verkauf für die Organisationen selbst ohne jedes Risiko bliebe: Alle im Aktionszeitraum von Mitte Dezember bis Ende Januar nicht verkauften Exemplare könnten an die Deutsche Nothilfe zurückgegeben werden. Die Marken müssten auch nicht im Vorfeld, sondern erst nach dem Abschluss der Aktion bezahlt werden.
Winterhilfswerk
Die Nationalsozialisten vereinnahmen die Idee der Wohlfahrtsmarken. Bis 1935 konnten noch Briefmarken der "Deutschen Nothilfe" erscheinen, doch schon 1934 floss der Erlös ausschließlich dem nationalsozialistischen Winterhilfswerk (WHW) zu. Zwischen 1936 und 1940 brachte das Regime eigene Marken heraus. In der Eichstätter Kirchenzeitung "St. Willibaldsbote" erschien 1937 eine martialische Anzeige für die Markenserie zum Thema "Schiffe". Unkommentiert von redaktionellem Text wirkt diese Kampagne eher bedrohlich als kaufanregend: Sie zeigt eine stilisierte Hochsee-Kogge mit NS-Symbolen und dem Text: "Ein Volk hilft sich selbst. Verwendet WHW-Briefmarken".
"Es braucht einen Dickkopf"
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich Caritas-Generalsekretär Kuno Joerger dafür ein, die Idee der Wohlfahrtsmarken wiederzubeleben. "Der Start war nicht leicht", heißt es in einer Broschüre der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) aus dem Jahr 1983. "Wie immer braucht es einen ‚Dickkopf‘, der die Idee durchsetzte." Der erfahrene Philatelist Joerger besaß die Hartnäckigkeit, das Thema immer wieder aufzugreifen. Er "warb und drängte unaufhörlich" und in fast "jeder Sitzung des Wohlfahrtsmarkenausschusses war das Thema auf der Tagesordnung. Die Post machte mit … und eine zunächst langsame Entwicklung begann."
Helfer der Menschheit
Blickt man auf die Zeitachse, so kann man nicht von einer langsamen Entwicklung des Projekts sprechen. Ab 1947 erörterten die Freien Wohlfahrtsverbände die Herausgabe einer neuen Serie mit der Hauptverwaltung für das Post- und Telegraphenwesen des "Vereinigten Wirtschaftsgebietes" und beschlossen die Herausgabe der Wohlfahrtsmarken schon im Folgejahr. Zum Jahreswechsel 1948/49 kam eine erste Serie von Wohlfahrtsbriefmarken in der Französischen Besatzungszone auf den Markt. In West-Deutschland begann die Aktion nach der Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Im Dezember 1949 erschien unter dem Leitthema "Helfer der Menschheit" die erste Serie mit einer Auflage von 20 Millionen Stück. Sie zeigte große Vorbilder der Wohlfahrtspflege: die Heilige Elisabeth von Thüringen (1207-1230), den Arzt, Mystiker und Philosophen Paracelsus von Hohenheim (1493-1541), den Pädagogen und Schüler Pestalozzis Friedrich Fröbel (1782-1852) sowie den Theologen und Begründer der Inneren Mission Johann Hinrich Wichern (1808-1881).
Sozialwerk Wohlfahrtsmarken
Mit dem Start der Markenserie übernahm der Deutsche Caritasverband 1949 die Federführung im sogenannten Sozialwerk Wohlfahrtsmarken, das sich um die Herausgabe der Marken und Auswahl der Motive kümmern sollte. Der Erlös kam und kommt sechs freien Wohlfahrtsverbänden zugute: dem Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt, dem Deutscher Caritasverband, dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Deutschen Roten Kreuz, der Diakonie Deutschland und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland zugute. Sie finanzieren damit besondere Projekte.
Ein erst allmählich erfolgreiches Marketingkonzept
Der Verkauf der Wohlfahrtsbriefmarken lief im ausgebombten Deutschland sehr zögerlich an. "Die ersten 20 Millionen Wohlfahrtsmarken (…) verkauften sich mehr schlecht als recht", wird dies in der Broschüre von 1983 recht deutlich zum Ausdruck gebracht. Aus diesem Grund wurde die zweite Auflage mit Porträts von Vinzenz von Paul (1581-1660), Friedrich von Bodelschwingh 1831-1910), Elsa Brändström (1888-1948) und Johann Heinrich Pestalozzi 1746-1827) auf 11,5 Millionen Stück reduziert. Im Gegensatz zu "Sonderbriefmarken", die solange verkauft werden, bis die Auflage vergriffen ist, gilt für "Wohlfahrtsmarken" ein vorher festgelegter Zeitraum. Nach Ablauf der Verkaufsfrist werden unverkaufte Exemplare regelmäßig vernichtet und schaffen Raum für eine neue Auflage.
Schirmherrschaft des Bundespräsidenten
Die Verkaufszahlen der Wohlfahrtsmarken steigerten sich allmählich. Intensive Werbemaßnahmen und das Engagement von bekannten Persönlichkeiten erhöhten den Absatz. Bundespräsident Theodor Heuss begeisterte sich für das Projekt so sehr, dass er 1956 erstmalig die Schirmherrschaft übernahm. Seither folgten alle Bundespräsidenten seinem Beispiel, so dass traditionell kurz vor dem Ausgabetermin eine feierliche Übergabe der Briefmarken durch den Bundesfinanzminister an den Präsidenten im Schloss Bellevue stattfindet. Eine starke Verbreitung erfuhren die Wohlfahrtsmarken ab 1964 durch die Fernsehsendung "Vergißmeinnicht". Beim dazugehörigen Gewinnspiel mussten die Teilnehmer zusätzlich zum regulären Porto einen ganzen Satz Wohlfahrtsmarken auf die Postkarte kleben. 1964 wurde das Verbreitungsgebiet der Marken auf Berlin ausgeweitet. Hier erschienen die Marken in leicht veränderter Form, weil die Alliierten aufgrund des Sonderstatus der Stadt zunächst Vorbehalte hatten. Seit 1969 gibt es neben dem Standardsatz auch Weihnachtsmarken.
Wohlfahrtmarken in Eichstätt
"Wohlfahrtsmarken machen das Helfen leicht. Hin und wieder einige Pfennige zu spenden, fällt wohl keinem schwer. Doch viele rote Pfennige können zu einer maßgeblichen Hilfe anwachsen. Es ist daher ein heilsames Werk, stets Wohlfahrtsmarken zu verwenden." Dieser Aufruf am 6. Dezember 1953 im St. Willibaldsboten markiert wohl nicht den Startschuss zum Verkauf von Wohlfahrtsmarken in der Diözese Eichstätt, steht aber sicher am Anfang. "Die neue Serie", heißt es in der Veröffentlichung, "erscheint ab 2. November 1953 und wird bis zum 30. April 1954 durch die Deutsche Bundespost, den Caritasverband und die anderen Wohlfahrtsverbände vertrieben." Eine weitere Werbung für die Wohlfahrtsmarken findet sich in der Eichstätter Kirchenzeitung erst wieder im Jahr 1955, als gezielt auf die Person von Lorenz Werthmann hingewiesen wurde, dessen Porträt im Rahmen der fünften Serie von "Helfer der Menschheit" erschien.
Jakob Weidendorfer und Helene Hoffmann
Nachhaltige Verbreitung erhielten die Wohlfahrtsmarken in Eichstätt erst unter Caritasdirektor Jakob Weidendorfer, der sich seit 1961 um den Aufbau des Verbands kümmerte. Er erkannte in den Briefmarken ein gutes Mittel, Geld für die Arbeit der Caritas einzuwerben. Deshalb ging er - seine braune Ledertasche voller "Sonderpostwertzeichen" unter den Arm geklemmt - alljährlich in Eichstätt von Geschäft zu Geschäft, um Wohlfahrtsmarken zu verkaufen. Helene Hoffmann, die seit Anfang der 1960er Jahre in der Zentrale des Caritasverbandes arbeitete, übernahm dort den Vertrieb der Marken. Neben dem Verkauf an der Pforte wurden Kindergärten, Pfarrämter und ehrenamtliche Verkäufer mit Wohlfahrts- und Weihnachtsmarken beliefert. Im Oktober 1992 übergab Hofmann die Verwaltung der Wohlfahrtsmarken an ihre Kollegin Theresia Schödl.
Wohlfahrtsmarken an der Pforte
1996 übernahm Theresia Brigl mit dem Pfortendienst auch die Zuständigkeit für die Wohlfahrtsbriefmarken. Über 20 Jahre bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Verband im Januar 2017 verkaufte sie mit großer Leidenschaft die Sonderpostwertzeichen. 2004 wurde sie für dieses Engagement von Bundespräsident Horst Köhler gemeinsam mit 23 freiwilligen Helfern und Mitarbeitern von Verbänden sowie elf Angestellten der Deutschen Post für diese herausragende Verkaufsleistung in Berlin ausgezeichnet. Da aufgrund der neuen Kommunikationswege der Verkauf von Wohlfahrtsmarken stark rückläufig war, entschied sich der Diözesanverband, nach dem Ausscheiden von Theresia Brigl den Verkauf von Wohlfahrtsbriefmarken aufzugeben. Der Bezug der Marken ist weiterhin zentral über die Diakona Handels- und Vertriebsgesellschaft mbH in Stuttgart, die Post und online über www.wohlfahrtsbriefmarken.de möglich.
Literatur
- Wohlfahrtsmarken - gestern und heute. Hg.v. Bundearbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Waldkirch i Br. 1983.
- Klaus Heil: Wohlfahrtsbriefmarken. In: Fundraising. Handbuch für Grundlagen, Strategien und Methoden. Hg. v. Fundraising Akademie. Wiesbaden (4. Auflage) 2008, S. 361f.
- Pastoralblatt des Bistums Eichstätt, 15.12.1924
- St. Willibaldsbote, 26.12.1937, 6.12.1953, 22.5.1955
- Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Wohlfahrtsmarke, 22.2.2018
- Eintrag "Joerger, Kuno" in: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, URL: http://www.munzinger.de/document/00000007389 (abgerufen am 14.3.2018)