Landescaritasdirektor Fritz
Georg Rudolf Fritz, geboren 1876 in Breitenfurt bei Eichstätt, wurde nach mehreren Jahren in der Seelsorge 1927 Direktor des Diözesan-Caritasverbandes München und Freising. Dort gründete er die "Trinkerfürsorge" und "Gefangenenobsorge". 1932 wählten die bayerischen Diözesan-Caritasdirektoren den Münchner Diözesan-Caritasdirektor Georg Rudolf Fritz zum Landes-Caritasdirektor, am 16. April 1932 trat dieser sein Amt an. Als der Münchener Diözesan-Caritasdirektor Prälat Oskar Jandl zum Sanitätsdienst eingezogen wurde, übernahm Fritz zwischen 1941 und 1945 "nebenbei" noch die Leitung dieses größten bayerischen Diözesan-Caritasverbandes.
Gefahren des Nationalsozialismus
Fritz sah sehr früh die Gefahren des Nationalsozialismus. Schon 1932 bedauerte er in seinem Tagebuch das "befürchtete riesige Anschwellen nationalsozialistischer Stimmen. Nun kann Hitler an den Staat." Hellsichtig und klar in der Wortwahl äußerte sich Fritz 1934 zu den Plänen der Nationalsozialisten. Am 15. Februar 1934 sagte er zu den bayerischen Diözesan-Caritasdirektoren in der Landes-Caritaskonferenz:
"Halten wir uns auf das Schlimmste gefasst. Geben wir aber nichts freiwillig preis. Zwingen wir die NSV, Farbe zu bekennen. Versuchen wir, uns friedlich aus der Umklammerung der Reichsgemeinschaft zu lösen und ein neues Organisationsprinzip: Staatliche und freie (kirchliche) Wohlfahrtspflege zu statuieren. Verlernen wir es, mit Ansprüchen aufzutreten; besinnen wir uns auf das innerste Wesen der Caritas: Dankbar zu sein, wenn wir helfen dürfen. Wir haben zu dem Präsidenten des Caritasverbandes das Vertrauen, dass er, in engstem Einvernehmen mit dem Episkopat, nichts von den Wesenselementen der Caritas preisgebend, selbst einem zerstörungslustigen Gegner ein Optimum von erreichbaren Zugeständnissen abringen werde."
Eintreten für das Leben
Öffentlich äußerte er sich 1934 in den "Münchner Caritasstimmen", die Caritas werde sich weiter um Menschen kümmern, die für den Staat bloß "Zehrer am Volksvermögen” seien; für die Caritas dagegen gebe es kein lebensunwertes Leben. Denn sie sei aus ihren innersten Beweggründen heraus "zweck-los".
"Christus ist der Bruder des Elends. Was den Elenden erwiesen wird, wird Ihm erwiesen. Neben den Notleidenden steht der Herr und schafft eine geheime Bruderschaft, die in der Liebestätigkeit der Kirche sich auswirkt. Diese Liebe ist nicht orientiert am Volkstum. Sie ist nicht mehr bewegt von der Frage, ob ein Leidender noch ein brauchbares Glied des Volkes werden kann. Sie kennt kein lebensunwertes Leben. Sie betätigt nur deswegen die Bruderschaft mit dem Elenden, weil er ein Leidender ist. So gehorcht sie der Liebe des Herrn, der gesagt hat: Alles, was ihr den Geringsten getan, habt ihr Mir getan".
Der im deutschen Volke aufgebrochene "nationale Opfergeist" sei nicht vergleichbar mit "der in Gott gegründeten und von seinem Willen geleiteten Liebe". Diese Liebe, wie sie in der Caritas sichtbar werde, habe dem Staatsvolk eine "köstliche Gabe" anzubieten.
Bald nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 begann ein Dauerkampf um die Weiterführung der Caritas-Einrichtungen. Hilflos und deprimiert führt er in seinem Tagebuch Einrichtung für Einrichtung auf, die von den Nationalsozialisten geschlossen und enteignet worden war. Seine Verzweiflung schlägt sich nieder in Zitaten aus der großen Literatur und der Bibel. Wer wäre damals schon so selbstmörderisch gewesen, seine innere Not und seine wahren Empfindungen und Gedanken in eigenen Worten schriftlich festzuhalten?
Gegen Euthanasie
Aus den katholischen Behinderteneinrichtungen wurden Menschen mit Behinderung auf Befehl der Nazis abgeholt und ermordet. Einrichtungen wurden enteignet, geschlossen, im Krieg durch Bomben zerstört. Am 19. November 1941 wurde in der katholischen Anstalt Schönbrunn im Landkreis Dachau, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung in Trägerschaft der Kongregation der Dienerinnen von der göttlichen Vorsehung, ein Tbc-Hilfskrankenhaus der Stadt München eröffnet.
Um die Kranken unterbringen zu können, musste die Anstalt vier Häuser räumen, die mit Behinderten belegt waren. Der bayerische Landes-Caritasdirektor war darüber nicht informiert. Erst aus dem Bericht im "Völkischen Beobachter" erfuhr er am 20. November über den Vorgang. Fritz hielt an diesem Tag in einer Aktennotiz fest, die Hauptvertretung habe "in keinem Stadium der Verhandlungen" zwischen der katholischen Anstalt Schönbrunn und der Stadt München "mitgewirkt". Das tat er aus gutem Grund, denn er wusste, was die Räumung der Behinderten bedeutete: den sicheren Tod, und daran wollte er nicht mitschuldig sein. An seinen priesterlichen Mitbruder, den Direktor der Anstalt Schönbrunn, schrieb Fritz, einen deutlichen Brief, in dem er dessen Haltung missbilligte.
Lebensleistung des Landescaritasdirektors
"In den schweren Zeiten der Nationalsozialistischen Diktatur und in den notvollen Jahren nach dem 2. Weltkrieg hat er es verstanden, das Anliegen der Freien Wohlfahrtspflege in rechter Weise zu vertreten. Er war nicht der Funktionär eines Verbandes, sondern aus tiefer christlicher Liebe der Freund der notleidenden Menschen. Ihnen stellte er seine reichen, geistigen Fähigkeiten, sein Verhandlungsgeschick, seinen restlichen Arbeitseinsatz und seine stete Hilfsbereitschaft zu Verfügung." So heißt es in einem Nachruf nach seinem Tod 1964 im Bayerischen Wohlfahrtsdienst.
Nachkriegszeit und Vertriebenenhilfe
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Arbeit der Caritas mehr und mehr zurückgedrängt. Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV), das Winterhilfswerk, die nationalsozialistische Frauenschaft und andere Organisationen übernahmen bisherige Felder der Caritas-Arbeit. Mitgliederwerbung und öffentliche Sammlungen wurden der Caritas 1937 untersagt, Ordensschwestern aus den Anstalten verdrängt. Anstalten wurden der Caritas weggenommen oder zweckentfremdet.
"Kaum war der letzte Kanonenschuss verhallt" (Fritz), hatten sich die bayerischen Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege zusammengefunden, um Hilfsmaßnahmen, vor allem Obdach und Brot für die heimkehrenden Soldaten, die schier endlosen Züge der Flüchtlinge und die hungernden Städte zu organisieren. Bis in das letzte Dorf verteilten die Wohlfahrtsverbände in den nächsten Jahren Hilfsgüter aus dem Ausland.
Fritz wurde Vorsitzender des Ausschusses zur Verteilung ausländischer Liebesgaben in der US-Zone. Die Caritasverbände betreuten Flüchtlinge und Heimkehrer in den Lagern und verteilten Lebensmittelpakete, vor allem aus den USA und dem Vatikan. Die Hauptvertretung München hatte dabei die Koordinationsaufgabe. Der Kirchliche Suchdienst, der sich um das Schicksal der Zivilvermissten und ihrer Familien kümmerte, wurde der Hauptvertretung München angegliedert und bestand bis 2015.
Stand der Caritasarbeit 1947
Über den "Stand der caritativen Arbeit in Bayern" berichtete Fritz auf einer Konferenz der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege "in Anwesenheit der Wohlfahrtskommissare der US-Zone" am 10. Januar 1947 in München.
- Danach waren in katholischer Trägerschaft in der geschlossenen Hilfe 564 Anstalten der Gesundheits-, Erziehungs- und Wirtschaftsfürsorge mit 44 846 Betten und 8960 Pflegekräften, davon 6 662 Ordensangehörige.
- Zur halboffenen Fürsorge (u. a. Kinderkrippen, Nähstuben) zählten 2 320 Einrichtungen mit 93 710 täglichen Besucherinnen und Besuchern, betreut von 2 044 Mitarbeitenden, davon 1 774 Ordenskräften).
- In der Offenen Fürsorge arbeiteten 1 245 ambulante Krankenpflegestationen (2 469 Ordensschwestern und nur 21 weltliche Kräfte!), 20 Bahnhofsmissionen, rund 100 caritative Dienststellen in den größeren Städten und Landkreisen, rund 80 Wärmestuben vor allem in München und Augsburg.
- Breiten Raum nahm die Fürsorge für Ausgebombte, Flüchtlinge und Heimatlose ein. Insgesamt betrug der "Arbeitsstab"14 495 Personen.
Landes-Caritasdirektor Fritz war Mitbegründer der "Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern" und der erste Lizenzträger von deren Publikationsorgan, des "Bayerischen Wohlfahrtsdienstes". Die Beliebtheit des Landes-Caritasdirektors in der bayerischen Caritas zeigt sein "Kosename": Man nannte Fritz "Landesvater". 1947 übergab er 71-jährig das Amt des Landes-Caritasdirektors an Pater Augustinus Rösch SJ. Bis 1952 aber stand er seinem Nachfolger mit Rat und Tat zur Seite.