Barmherzigkeit freudig geübt
Vor den Münzen und Scheinen stand die Sachspende. Die Menschen mussten in den Zeiten der Not mit dem Lebensnotwendigen versorgt werden. Das waren zu allererst Lebensmittel, Kleidung oder Feuerholz.
Brot für Kinder
Mit elementarer Not wurde im Juli 1919 auch der neu gegründete Caritasverband für die Diözese Eichstätt konfrontiert, obwohl er selbst noch ohne richtige Struktur war. Er stand vor der Problematik, hungernde Kinder versorgen zu müssen. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg war die Lebensmittelversorgung gerade für Arbeiterfamilien prekär. Es sei Tatsache, heißt es im Protokollbuch, "dass jetzt fast täglich Kinder um Brot kommen". Sicherlich konnte die bescheidene Anlaufstelle in Eichstätt vereinzelt Hilfe leisten. Doch das Einrichten einer Brotverteilungsstelle für diese Kinder mussten sie etwas unbeholfen ablehnen. Vom Staat, der nach der Revolution erst im Aufbau begriffen war, sei die Zuweisung von Brot für eine solche Aktion nicht zu erwarten (Protokollbuch, 21.9.1919).
Amerika-Spende 1920
Im Sommer 1920 lief im Diözesan-Caritasverband Eichstätt die erste größere Hilfsaktion an. Es handelte sich um "eine größere Sendung amerikanischer Liebesgaben" (Pastoralblatt, 5.6.1920), vorwiegend Kinder- und Frauenbekleidung sowie Wäschestücke, die verteilt werden sollten. Ganz pragmatisch erfolgte die Zuteilung in den ersten Verbandsjahren nach dem Gießkannenprinzip: also "auf Grund der vorliegenden Gesuche" und nicht nach einem systematischen Konzept. Dabei klang bei diesen ersten Verteilungen bereits ein Problem an, das sich später in der Logistik von Lebensmitteln sehr viel deutlicher zeigen würde. Sachspenden erlauben keine Flexibilität und so musste der Verband "die zum Teil defekten Bekleidungsartikel in dem Zustand abgeben", in dem er sie erhielt.
Caritassammelwoche
Im Jahr 1922 organisierte der Diözesanverband wohl erstmals eine flächendeckende Caritassammlung. Sie fand um das Erntedankfest herum statt. Dieser Termin ist bis heute maßgeblich für die Herbstsammlung. Vertrauensleute in den Pfarreien warben Kartoffeln, Getreide und andere Naturalien ein. Auch Kraut, Eier, Fett und Obst waren Anfang der 1920er Jahre noch willkommen. Mindestens ein Viertel der Waren blieb nämlich bei bedürftigen Familien vor Ort und hatte damit kurze Lieferwege. Außerdem gewährte das Reichsverkehrsministerium bis 1925 Frachtfreiheit für Lebensmittel und Brennmaterial zwischen den Caritasausschüssen in den einzelnen Gemeinden. Doch Missbrauch der Frachtfreiheit und eigene staatliche Versorgungssysteme beendeten diese Vergünstigung bald. Ab 1926 wurde es für den Verband schwieriger, die verderbliche Ware zu ökonomisch vertretbaren Preisen weiter zu transportieren. Am Ende erzielte lediglich Getreide, das verkauft wurde, noch wirtschaftlich relevante Preise. So hieß es 1930 in einer Richtlinie: "Es darf nicht als Unbescheidenheit ausgelegt werden, wenn wir vor allem um Getreidespenden bitten, weil im Allgemeinen bei den derzeitigen Kartoffelpreisen die Frachtkosten für eine Bahnlieferung oder Lastautotransport unverhältnismäßig hoch zu stehen kommen" (Pastoralblatt, 14.10.1930). Dennoch gab es Lebensmittelsammlungen bis in die 1960er Jahre.
Komplizierte Logistik
Die Logistik der Lebensmittelsammlungen war äußerst kompliziert, denn es wurden ganz erhebliche Mengen eingeworben. Im Jahr 1925 beispielsweise kamen bei einer Sammlung in 147 Pfarreien 36,8 Tonnen Getreide, 128,6 Tonnen Kartoffeln sowie 4,65 Tonnen Kraut zusammen. Darüber hinaus wurden 225 Kilogramm Obst, 719 Stück Eier, 72 Pfund Fett und 6 Ster Holz gesammelt. Auch Barspenden in Höhe von 1410,70 Reichsmark und einige "kleineren Gaben an Kolonialwaren" waren darunter. Bei einer der wohl letzten Lebensmittelsammlungen im Jahr 1960 wurden allein in den Dekanaten um Ingolstadt rund 12,37 Tonnen Weizen, 5,9 Tonnen Roggen und 30,5 Tonnen Kartoffeln eingeworben.
In den Pfarreien mussten Sammelstellen zur Lagerung der Produkte eingerichtet werden. Dafür brauchte es vertrauenswürdige Personen, die die Organisation übernahmen. Außerdem mussten Pferdekarren oder Lastwägen für den Transport möglichst kostenfrei organisiert werden. Nach dem zweiten Weltkrieg diente ein ausrangierter Armeelastwagen der Amerikaner als Transportmittel für die Caritas-Sammlungen, erinnert sich Pfarrer Georg Wohlmuth, ein Neffe des damaligen Caritasdirektors Eduard Wohlmuth (1908-1994). "Der Chauffeur des Bischofs, Herr Barz, hat ihn immer gefahren."
Geldspenden
Nach der Abschaffung der Frachtfreiheit im Jahr 1926 wurde verstärkt um Geldspenden geworben. Auch der Diözesan-Caritasverband Eichstätt setzte auf Haussammlungen, um die Stadtbevölkerung, "die keine Lebensmittel geben" könnte, zu erreichen. Sie sollten ebenso mit einem "mildtätigen Geldbetrag zum großen Liebenswerk" beitragen. Doch eine Kollekte allein würde nicht ausreichen, heißt es im Schreiben von Caritasdirektor August Horstmann. "Wenn ein nennenswertes Ergebnis erzielt" werden sollte, dann dürfte von einer "Haussammlung durch Vertrauensleute" nicht Abstand genommen werden. Auf dem Land wiederum sollte die Lebensmittelsammlung nicht entfallen, "wenn es sich irgendwie bewerkstelligen" ließe. Eine "Kirchenkollekte allein [brächte] erfahrungsgemäß immer viel weniger" ein (Pastoralblatt, 14.10.1930).
Caritas ruft dich!
In den ersten Richtlinien zur Lebensmittelsammlung 1922 nannten die Verantwortlichen noch sehr forsch eine Bedarfsmenge von "etwa 10 Pfund Kartoffeln und 7 Pfund Getreide pro Kopf der Landwirtschaft betreibenden Bevölkerung (…) ohne Rücksicht auf die Größe und Bonität der Anbaufläche". In den späteren Jahren wurde die Erwartungshaltung an die Landbevölkerung angesichts von Missernten und der verheerenden Inflation von 1923 deutlich vorsichtiger formuliert. Bei der Sammlung solle "keinerlei Zwang ausgeübt werden, sondern die Gaben der Freiwilligkeit ganz überlassen bleiben", hieß es (Pastoralblatt, 28.1.1925).
Während des Nationalsozialismus‘(1933-1945) zielte die Caritas-Kampagne auf den Rückhalt in der Bevölkerung "Caritas ruft dich - zu Mitarbeit/Opfer/Gebet" ab. Diesen Slogan kommentierte der erste Chefredakteur der 1934 gegründeten Kirchenzeitung "St. Willibaldsbote", Karl Rößner, mit dem Zusatz: "Laß Dich also bitte ansprechen!" und 1936 veröffentlichte er eine Anzeige mit dem Titel "Die Caritas sucht tapfere Sammler. Melde dich!" Wegen seiner deutlich spürbaren regimekritischen Haltung wurde Rößner vermutlich 1937 als Chefredakteur abgelöst. Doch sein Nachfolger Dr. Joseph Gmelch setzte die Caritas-Werbung mit ungewöhnlich anklagenden Worte fort: "Wer wirklich Christ sein will, steht immer in voller Verantwortlichkeit vor dem Höchsten für alles Leid, das er hätte trösten können! Caritas tröstet: Stütze sie durch Mitarbeit und Mitgliedschaft!" (Oktober 1937). Der Sprachduktus der Kampagnen wird erst nach dem Krieg wieder weicher. "Tuet Gutes allen" (1953) oder "Ein wenig Güte von Mensch zu Mensch" (1955).
Schwierig in der Zeit des Nationalsozialismus‘
Die Sammlungstätigkeit des Caritasverbandes war in der Zeit des Nationalsozialismus‘ erheblich erschwert. Zwar blieben Caritas, Innere Mission und Rotes Kreuz als Reichsspitzenverbände der freien Wohlfahrt von den Gleichschaltungsbestrebungen des Regimes verschont, doch behinderten zahlreiche Restriktionen die karitative Arbeit. Caritassammlungen wurden nicht mehr zur Erntezeit, sondern nur mehr im Mai (1935) oder Juni (1936) erlaubt, wenn die Bauern noch nicht über Lebensmittelvorräte verfügten. Zudem war eine Caritaskollekte nur innerhalb der Kirchenmauern und ohne vorherige Ankündigung gestattet. Alle Wohlfahrtsverbände sollten sich in den Dienst des staatlichen "Winterhilfswerks" stellen.
Der Eichstätter Bischof Michael Rackl konnte sich dieser Bewegung kaum entziehen. Doch sein Spendenaufruf in der Kirchenzeitung vom November 1937 äußerte feine und doch unverkennbare Kritik: "Das Winterhilfswerk hat für das heurige Jahr ausgegeben: ‚Das Volk schafft sein Glück aus starkem Glauben an seine Weltanschauung'." Unsere katholische Weltanschauung ist die Religion der Liebe, die ihre Wurzeln hat im liebeglühenden Herzen des gekreuzigten Heilandes Jesus Christus. In allen Zeiten, in denen der Glaube an den gekreuzigten Heiland und seine Liebe stark und lebendig war, sind auch die Werke der Barmherzigkeit freudig geübt worden. So soll es auch in der Gegenwart bleiben! Solis instar sola regnet caritas: Der Sonne gleich herrsche allein die Liebe!"
Sammlungen im Umbruch
Anfang der 1960er Jahre wurden die Lebensmittelsammlungen allmählich eingestellt und seit rund 20 Jahren verliert die Straßensammlung auf öffentlichen Plätzen an Bedeutung. Derzeit vollzieht sich ein Umbruch bei den Haussammlungen. Viele Pfarreien verteilen nur noch einen Spendenbrief mit Überweisungsträger, weil sich keine Sammlerinnen und Sammler mehr finden. Frauen und Männer stehen gleichermaßen im Berufsleben und sind in familiäre wie persönliche Verpflichtungen eingebunden. Menschen mit der Bereitschaft, sich einem Ehrenamt zu widmen, das zunächst einmal Überwindung kostet, sind nicht leicht zu finden. Wie Schnydrig schon vor 40 Jahren treffend formulierte ist die Caritassammlung "immer noch eine aufsässige, lästige Sammlung".