"Welche Form ist das?", fragt der 80-jährige Rentner Rainer Klar den zwölfjährigen Filippos. "Ein Quadrat", antwortet dieser. "Und wie berechnet man die Fläche?", fragt Klar weiter und zeigt auf das Quadrat im Mathebuch. "Man nimmt die Länge mal der Breite, in diesem Fall beides 4,5 Zentimeter", so Filippos. Eine Szene im Lernpatenprojekt an der Sir-William-Herschel Mittelschule in Ingolstadt. Seit knapp einem Jahr treffen sich Rainer Klar und Filippos aus der sechsten Klasse jeden Mittwoch und jeden Donnerstag in der Mittagspause. Vor allem in Mathe hat Filippos einen Förderbedarf. Die beiden lernen aber auch Deutsch und Englisch zusammen. "Mein Ziel ist es, den Übertritt auf die Realschule zu schaffen", erklärt der fleißige und pflichtbewusste Schüler, weshalb er an dem Lernpatenprojekt teilnimmt. Auch seine Klassenlehrerin und seine Eltern hatten ihn angeregt, dies zu tun.
Nicht nur Unterrichtsstoff
"Rainer Klar und Filippos sind dabei, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und schon ein eingespieltes Team", sagt Caritas-Jugendsozialarbeiterin Julia Probst, die mit ihrer Kollegin Julia Heider das Lernpatenprojekt organisiert. Zwischen dem Rentner und dem Schüler geht es meist locker zu. Sie widmen sich nicht nur dem Unterrichtsstoff. Lernpate Rainer Klar liest mit Filippos auch den Kinderteil des Donaukuriers, beide spielen auch schon einmal eine Runde Schach oder reden über Gott und die Welt. Filippos hat seinem Lernpaten auch schon selbst ausgedachte Rätsel mitgebracht, die dieser dann löste. Klar hat Filippos zum letzten Weihnachtsfest Plätzchen und Obst geschenkt und zu Ostern Schokolade. Der Schüler revanchierte sich neulich mit einer Schachtel Pralinen.
Klar ist schon seit 15 Jahren Lernpate in dem Projekt und trifft sich heute noch mit früheren Schülerinnen und Schülern, zum Beispiel im Eiscafé. "Er hat sich auch schon schwieriger Mädchen und Jungen angenommen. Bei ihm wissen wir, dass das läuft", versichert Julia Probst. Zwischen dem Rentner und den Schülerinnen und Schülern habe bisher stets eine Beziehung bestanden, die dem entspricht, was der Caritasverband für die Diözese Eichstätt bei seiner diesjährigen Herbstsammlung mit dem Motto "Liebe vertraut" beschreibt. Filippos möchte sich mit Rainer Klar jedenfalls so lange weiterhin treffen, bis er den Übertritt auf die Realschule schafft.
Rainer Klar erfuhr im Jahr 2009 kurz nach seinem Eintritt in den Ruhestand von einem Treffen von ehrenamtlichen Beteiligten an dem Lernpatenprojekt, seinerzeit noch ein Leseprojekt. Da ging er hin, entschied sich danach sofort, in das Projekt einzusteigen und ist bis heute in ihm engagiert. "Nur Haus- und Gartenarbeit wäre etwas wenig", meint der Rentner. "Vor allem aber macht es mir Freude, mit jungen Menschen zu arbeiten", erklärt er seine Motivation. Solange es gesundheitlich geht, möchte der Ingolstädter weiterhin als Ehrenamtlicher mitwirken.
Das Lernpatenprojekt wurde vor knapp 20 Jahren an der Herschelschule von Seiten der Caritas ursprünglich als Leseprojekt für nicht ausreichend Deutsch sprechende Kinder und Jugendliche ins Leben gerufen. Hierbei stellten sich Seniorinnen und Senioren ehrenamtlich einmal pro Woche zur Verfügung, um mit den Schülerinnen und Schülern zu lesen. Mittlerweile sind es nicht mehr hauptsächlich Senioren, sondern überwiegend jüngere Menschen, die im Beruf stehen: beispielsweise junge Beschäftigte bei Audi, "die mit unseren Kindern nicht mehr unbedingt lesen, sondern Deutsch, Mathematik und Englisch lernen. Ein sehr wertvolles und für beide Seiten gewinnbringendes Projekt", so Caritas-Jugendsozialarbeiterin Julia Heider. "Die Motivation der Ehrenamtlichen ist es weniger, etwas für den eigenen Lebenslauf zu tun, sondern mehr, jungen Menschen bei der Bildung zu helfen", informiert Julia Probst. Dabei gehe es häufig auch erst einmal darum, "Lernen zu lernen".
Weitere Freiwillige gesucht
Derzeit gibt es nach Information der Caritasmitarbeiterin elf Lernpaten, die sich um genauso viele Schülerinnen und Schüler kümmern. Andere, die auch gerne unterstützt würden, stehen auf einer Warteliste. "Wir suchen noch weitere Ehrenamtliche, die sich bei uns einbringen möchten", so Julia Probst. Dabei versichert sie, dass niemand etwas tun müsse, was er nicht wolle. "Wenn jemand sich zum Beispiel nicht mit Mathe beschäftigen will, ist das in Ordnung. Dann suchen wir für diese Person zum Beispiel eine Schülerin oder einen Schüler, der Förderbedarf in Sprachen hat." Wer Interesse an dieser freiwilligen Arbeit hat oder Fragen zu dieser, kann sich bei Julia Probst telefonisch unter 0841 30542752 oder per Mail an julia.probst@caritas-ingolstadt.de melden.