Arbeitslos, von der Familie getrennt, heimatlos, krank, schwer verletzt oder plötzlich gehandicapt sein. Nicht mehr gebraucht werden, nichts mehr leisten können, misshandelt werden, Hunger leiden, verfolgt sein, einen geliebten Menschen betrauern müssen: Äußere Not geht meist mit innerer Not einher.
Leidet jemand still im Verborgenen, spielt die Psyche eine wichtige Rolle. „Ja, nach außen funktioniere ich, aber wenn Sie wüssten, wie es in mir aussieht!“. Diesen Satz hören wir in der Caritas-Beratung oft. Menschen haben Sorgen und Angst, werden traurig, wütend und hilflos. Solche Gefühle sind zunächst einmal normal: Körper und Geist brauchen sie, um sich zu schützen und zu regenerieren. Doch wo beginnt die Not? Die äußerliche scheint klar erkennbar, wenn man an Bilder von Katastrophen und Unglücken, von weinenden und hungernden Kindern denkt. Doch die innere Not?
Ich kenne viele Menschen, die zufrieden leben – trotz einer Erkrankung. Erst wenn der Mensch in seinem Erleben, Selbstwertempfinden, seiner Gefühlswelt und mit seinem Handlungsspielraum nicht zufrieden ist, entwickelt sich Leid. Und inwieweit dieses jemanden beeinträchtigt, ist von dessen Persönlichkeit, seinem Umgang mit Anforderungen, Erfolgen und Misserfolgen und anderem abhängig. Daher ist innere Not sehr individuell und vielseitig.
Ganz wichtig: zuhören
Eines ist klar: Um innere Not sehen und helfen zu können, muss man sich auf Menschen einlassen, sie wahrnehmen, ihnen zuhören: und zwar ungefiltert und ohne Vorbehalte! Fast immer höre ich in der Beratung: „Das tat gut, mal endlich alles erzählen zu können, jemanden zu haben, der zuhört.“ Dem scheinbar banalen Angebot des Zuhörens kommt gerade bei der inneren Not eine wichtige Rolle zu. Hierbei ist es gar nicht so wichtig, sofort konkrete Lösungen zu finden – eine Erkenntnis, die ich auch erst im Lauf meiner Beratererfahrung gewonnen habe. Wichtig ist es, in der Begegnung ehrlich und authentisch zu sein.
Anforderungen des Alltags kommen von außen auf den Menschen zu und fordern ihn heraus. In der Regel kann er sie gut bewältigen. Ist das nicht der Fall, entstehen oft Probleme. Auf der gedanklichen Ebene existieren häufig Selbstzweifel, die mit Worten wie „Ich schaff das alles nicht“, „Ich bin nichts wert“ oder „Das Leben macht keinen Sinn“ zum Ausdruck kommen. Gefühlsmäßig entstehen zum Beispiel Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Angst. Der Körper reagiert meist mit Antriebsschwäche oder auch innerer Unruhe. Meistens verhalten sich Betroffene dann deutlich passiver. Sie wirken in sich gekehrt, ziehen sich zurück, werden wortkarg und meiden die Gesellschaft. Im Extremfall kommt es zu Selbsttötungsversuchen.
Nicht nur Profis können helfen
Innere Not, die zunächst verborgen scheint, ist also äußerlich erkennbar. Deshalb gibt es auch Hilfemöglichkeiten. Das Sammlungsmotto „Innere Not sehen“ ist ja auch ein Appell zum Handeln. Doch wie kann ich Not lindern, wenn ich das Ausmaß schwer einschätzen kann? Eine erste Hilfe ist es, den Notleidenden anzuregen, sich zu fragen: Welche konkreten Gedanken, Gefühle und körperlichen Symptome lösen meine innere Not aus? Sehe ich eine Situation eher negativ als Bedrohung oder positiv als Herausforderung? Welche Handlungsmöglichkeiten habe ich? Diese Überlegungen können das Gefühl der Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit – und damit das Gefühl erlebter Not – verringern. Oft erleben Betroffene es als sehr hilfreich, über Gedanken, Gefühle und Ereignisse ungefiltert zu erzählen. Wenn sie es dann schaffen, Probleme anzunehmen und bestimmte Dinge, die nicht mehr änderbar sind, zu akzeptieren sowie Erfahrungen zu ordnen, ist ein wesentlicher Schritt für weitergehende Hilfe und Selbsthilfe getan. In bestimmten Fällen ist professionelle Begleitung ratsam oder sogar nötig. Doch auch jeder Mitmensch kann durch Offenheit zumindest teilweise innere Not sehen und helfen. Lassen wir uns darauf ein!
Frank
Mronga
Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes
der Caritas-Kreisstelle Eichstätt
Innere Not ist nicht ausweglos. Wer sich auf Betroffene einlässt, kann ihnen helfen, dunkle Zeiten zu überwinden und neues Licht am Horizont zu sehen. Abbildung: Gabi Harrer