"Die Not unserer Klientinnen und Klienten im Gerontopsychiatrischen Dienst ist leise", bringt die Eichstätter Caritas-Mitarbeiterin Barabara Rozbicki ihre langjährigen Erfahrungen auf den Punkt. Was sie täglich erlebt, ist bespielhaft für das, was der Caritasverband für die Diözese Eichstätt mit dem Motto seiner diesjährigen Herbstsammlung "Manche Not ist leise" zum Ausdruck bringt. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Ulrike Schurr-Schöpfel und Doris Zinner betreut Barbara Rozbicki im Sozialpsychiatrischen Dienst der Caritas-Kreisstelle Eichstätt Menschen mit psychischen Erkrankungen ab 60 Jahren und Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz oder Parkinson.
"Die Einsamkeit drückt"
Vor kurzem war Barbara Rozbicki bei einer hochbetagten Dame, die trotz ihrer Demenz noch alleine in einem Dorf im Landkreis Eichstätt lebt. Das Kurzzeitgedächtnis der betreuten Frau ist so weit geschädigt, dass sie nicht mehr weiß, dass eigentlich jeden Tag die Caritas ins Haus kommt. Ihre einzige Tochter ist schon lange verstorben. Verwandte leben weiter entfernt. "Bei meinem ersten Besuch traf ich die pure Einsamkeit, Verlassenheit und Trostlosigkeit vor", erzählt Barbara Rozbicki. "Als ich sie fragte, was ich ihr denn Gutes tun könne, antwortet sie: ‚Sie sind da.‘" Immer habe die alte Dame die Worte "Die Einsamkeit drückt" wiederholt. "Diesen Satz betonte sie, indem sie jedes Mal mit einer Hand an ihr Herz fasste", berichtet die Caritasmitarbeiterin und fügt hinzu: "Kaum jemand in der Siedlung dürfte um die stille Not dieser Dame wissen, da sie nicht mehr rausgeht. In ihrem Fall ist die Not noch verstärkt, da neben der Demenz auch noch die Diagnose Depression im Raum steht."
In der Regel lehnen Menschen mit Demenz nach Erfahrung der Caritasmitarbeiterin es erst einmal ab, wenn ihnen Hilfen angeboten werden, "da sie der Meinung sind, dass sie ihre Alltagsverrichtungen noch selber tun können." Daher beginnt Barbara Rozbicki zunächst mit dem Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung. "Menschen mit Demenz tun sich schwer, den Namen anderer zu behalten. Aber sie können sich noch gut an das Gesicht, die Stimme und die Wortmelodie erinnern", weiß die Sozialpädagogin. Erst nachdem ein Vertrauen hergestellt ist, bietet sie behutsam Hilfen an. "Hier zählen kleine Schritte. Eine gewisse Infrastruktur wäre trotz Pflegenotstand durchaus vorhanden. Doch es kostet viel Geduld und Einfühlungsvermögen, die Betroffenen zu bewegen, Einrichtungen wie die Tagespflege einmal auszuprobieren."
"Das Herz wird nicht dement"
Ein Umzug in ein Pflegeheim wird der Caritasmitarbeiterin zufolge von Menschen mit Demenz nahezu immer abgelehnt. "Sie klammern sich noch an das letzte Stück Sicherheit, an ihre vertrauten Wohnräume." Eine zwangsweise Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung soll vermieden werden. Die kommt erst in Betracht, wenn Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegen. "Freilich: Wenn der Mensch vergisst, regelmäßig zu essen und zu trinken, dann wäre die Eigengefährdung schon gegeben", informiert die Sozialpädagogin. Die drei Mitarbeiterinnen des Gerontopsychiatrischen Dienstes im Landkreis Eichstätt bewegen sich hier auf dünnem Eis. Es muss immer abgewogen werden, wie lange der Verbleib in den eigenen vier Wänden noch verantwortet werden kann. Der Wille der von Demenz betroffenen Menschen soll dabei so lange wie möglich berücksichtigt werden. Die gute Nachricht ist aber: Auch bei Menschen mit Demenz kann mit ambulanten Hilfen noch über lange Zeit viel aufgefangen werden. "Demenz ist nämlich nicht gleich Demenz. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen und Formen von Demenz. So wissen viele Laien nicht, dass Menschen mit Demenz früh gelernte Tätigkeiten auch in der Demenz noch lange ausüben können. Nur später Erlerntes wie das Bedienen von Smartphones oder modernen Fernsehgeräten geht am schnellsten verloren", weiß Rozbicki. Vergessen werde oft auch, "dass Gefühle bei Menschen mit Demenz erhalten bleiben. Das Herz wird nicht dement."
Die Besuche bei den alten Menschen im weitläufigen Landkreis Eichstätt kosten viel Zeit. Noch können die drei Teilzeit-Mitarbeiterinnen allen Anfragen nachgehen. Im Jahr 2024 wurden vom Gerontopsychiatrischen Dienst nach eigenen Angaben rund 220 Personen betreut, zum Großteil in Form von Hausbesuchen. Barbara Rozbicki erfährt immer wieder, dass es den Besuchten schwerfällt, wenn wieder die Zeit zu ihrem Aufbruch gekommen ist. "Dann nämlich ist neben den
vorhandenen psychischen Erkrankungen und Belastungen die Einsamkeit besonders spürbar." Um die leise Not Betroffener zu lindern, arbeitet der Gerontopsychiatrische Dienst eng mit ambulanten Pflegediensten, zum Beispiel Caritas-Sozialstationen, zusammen. "Die Vermittlung von freiwilligen Helfern und geschulten Betreuungshelfern in Ergänzung zu ambulanten Pflegehilfen sind sehr hilfreich", erklärt die Sozialpädagogin.
Bei ihrer Arbeit haben es die Caritasmitarbeiterinnen häufig mit der Generation der Kriegskinder zu tun, von denen nach Beobachtung Rozbickis viele mit schweren Traumata gelebt haben. Manche Menschen seien aufgrund von Gewalterfahrungen so schwer traumatisiert, dass sie sich schwergetan hätten, tragende Beziehungen aufzubauen. "Betroffene sind oft misstrauisch ihrer Umgebung gegenüber, leben sehr zurückgezogen, wirken abweisend. So erleben wir auch hier große Einsamkeit." Eine positive Erfahrung der Caritasmitarbeiterin ist aber auch: "Wenn die Abwehr erst einmal durchbrochen ist, sind wir selber immer wieder überrascht, wie viel Dankbarkeit und Freude zum Vorschein kommt." Da bei Barbara Rozbicki der Vertrauensaufbau immer oberste Priorität hat, ist es nach ihrer Beobachtung auch nicht so schlimm, dass manchmal bis zum nächsten Besuch mehrere Wochen vergehen. "Die Betreuten wissen, dass im Hintergrund ein Mensch ist, den sie in der Zwischenzeit anrufen können, wenn es Redebedarf gibt. Das gibt ihnen Stabilität und Sicherheit. So kann vielerlei leise Not gelindert werden."
Mehrere Gruppenangebote
Leise Not haben laut der Caritasmitarbeiterin auch die Angehörigen der Betroffenen. Daher bietet der Gerontopsychiatrische Dienst an jedem dritten Mittwoch im Monat um 10.00 Uhr in den Räumen der Caritas-Sozialstation Gaimersheim einen Gesprächskreis für Angehörige an. Weitere Gruppen, die Barbara Rozbicki und ihre Kolleginnen koordinieren und moderieren, sind ein Erzählcafé, eine Parkinsongruppe - da auch Betroffene dieser Krankheut oft psychische Probleme haben - sowie eine Teestube. Für Letztere werden noch Fahrerinnen und Fahrer gesucht, die Teilnehmende zu Hause abholen und wieder zurückbringen. Genauere Informationen über die Gruppen gibt es unter www.spdi-eichstaett.de sowie telefonisch unter 08421 50870 oder per Mail an spdi@caritas-eichstaett.de. Auch, wer einen Fahrdienst übernehmen will, kann sich dorthin wenden.