„Wir sind alle Tänzer“ heißt ein Projekt, das es im Caritas-Zentrum St. Vinzenz Ingolstadt seit dem Jahr 2010 gibt. In diesem arbeitet die aus Argentinien stammende Tanz- und Theaterpädagogin Maria Nieves Tietze mit geistig behinderten Kindern und Jugendlichen zusammen. Im Juni 2013 begeisterten sie Eltern, Betreuer und andere Zuschauer bei einer öffentlichen Aufführung im Kleinen Theater in Ingolstadt. Nun wird ein Projekt in der Heilpädagogischen Tagesstätte für geistig behinderte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene von St. Vinzenz mit 11.280 Euro von September 2013 bis Juli 2016 – drei Schuljahre – von der Caritasstiftung Eichstätt gefördert. Damit werden die Honorarkosten für die Trainerin finanziert. An jedem Montagnachmittag – außer in den Schulferien – trainiert die Tanzpädagogin zwei Stunden mit 15 bis 20 Kindern aus verschiedenen Gruppen der Heilpädagogischen Tagesstätte.
An vergangenen Montag war der Geschäftsführer der Caritasstiftung Eichstätt, Dr. Thomas Echtler, bei ihnen zu Besuch. Die Kinder versammelten sich im Rhythmikraum, während Maria Nieves Tietze klassische Musik einspielte. Dann führte die Tanzpädagogin nach und nach Kinder auf die Tanzfläche, zum Beispiel die 15-jährige Stefanie, die im Rollstuhl sitzt und nicht sprechen kann. „Ja, wunderschön, jetzt Hände festhalten, trau dich“, rief sie dem Mädchen zu, während sie dessen Hände nach oben bewegte und im Rollstuhl führte. Tatjana Magel, die Mutter von Stefanie, berichtete, ihre Tochter habe sich stark geöffnet, seit sie an dem Tanzkurs teilnimmt. „Wenn sie Maria trifft, freut sie sich und klatscht. Beim Tanzen hat sie auch noch nie einen Krampfanfall bekommen“, beschreibt Tatjana Magel die Bedeutung des Projektes für Stefanie.
Maria Nieves Tietze tanzt mit der 15-jährigen im Rollstuhl sitzenden Stefanie und der 13-jährigen Marina. Fotos: Caritas/Esser
Auch deren 13-jährige Kollegin in der Heilpädagogischen Tagesstätte Marina zeigte sich begeistert: „Ich finde Maria ganz cool und nett und freue mich jeden Montag auf die Tanzstunde.“ Damit die Kinder ein konkretes Ziel vor Augen haben, bereiten sie sich mit den Tanzübungen auf eine Aufführung beim Internationalen Tanzfestival in Ingolstadt im Herbst vor. Doch dieses ist nicht das Hauptanliegen: „Es geht darum, dass die Kinder sich als ganz besondere Persönlichkeiten wahrnehmen, ganz gleich, was sie können“, brachte Tagesstättenleiter Gerhard Doleschal dieses beim Besuch des Geschäftsführers der Caritasstiftung auf den Punkt. „Es hat mir sehr gut gefallen“, zeigte sich Dr. Thomas Echtler nach den Präsentationen sichtlich beeindruckt.
Chancen, die kaum in Worte zu fassen sind
Maria Nieves Tietze bringt den Kindern und Jugendlichen rhythmisch-musikalische Körperarbeit näher. Die Tanzpädagogin redet mit den Kindern kaum. Diese bewegen sich mit ihr zusammen, rollen mit ihr über den Boden und gestalten durch eigene Bewegungen den Tanz mit. Ergebnis: Es existieren beim Tanzen scheinbar keine Grenzen in Bezug auf körperliche oder geistige Behinderungen. Entscheidend ist, dass die Tanzpädagogin den Kindern mit Behinderung neue Chancen der Bewegung und Selbstwahrnehmung ermöglicht: Chancen, die kaum in Worte zu fassen sind. Roberts Krigers, Leiter des Privaten Förderzentrums mit Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung – der Schule in St. Vinzenz, beschreibt es so: „Sie animiert sie zur Bewegung im Einklang mit der Musik und sich selbst. Jedes Kind entwickelt beim Tanzen seine eigene Körpersprache.“ Selbstverständnis des Projektes: Behinderte Menschen werden nicht als „handycapped“, sondern als „besonders“ betrachtet. Ihr spezielles schöpferisches und originelles Potenzial wird wertgeschätzt und gefördert. Pädagogen des Caritas-Zentrums haben festgestellt, dass die Kinder durch das Tanzprojekt Ängste abbauen und zugleich innere Ruhe und Ausgeglichenheit erreichen. „Ein nächster Schritt ist, dass die Kinder auch die Musik mit aussuchen“, erklärt Tanzpädagogin Maria Nieves Tietze.
Für die Schulkinder von St. Vinzenz wird derzeit noch ein weiterer Tanzkurs angeboten, der vom Verein Künstler an die Schulen e.V. gefördert wird. Um solche Tanzarbeit grundsätzlich stärker zu unterstützen, wurde im Januar 2014 der Förderverein Besondere Menschen e.V. gegründet, dessen stellvertretender Vorsitzender St-Vinzenz-Schulleiter Roberts Krigers ist. Langfristiges Ziel dieses Vereins ist es, ein Kunstzentrum für behinderte Menschen mit Förderbedarf in Ingolstadt zu errichten. Zuvor sollen Tanz- und Theaterkurse sowie künstlerisch-gestaltende Kurse für behinderte Menschen auch in der Tanz- und Kulturwerkstatt Ingolstadt angeboten werden, um die Vision „Kunstzentrum“ möglichst breit zu kommunizieren.
Auch dem elfjährigen Enes bringt Tanzpädagogin Maria Nieves Tietze im Caritas-Zentrum St. Vinzenz rhythmisch-musikalische Körperarbeit näher.